Transformation

Das Paradoxon von Transformation

24.7.2024

Wie Organisationen nachhaltiges Handeln neu erlernen müssen

Jan Wrobel
Christian Paul

Vom Widerspruch-Aushalten und Lösungen finden

Für viele Organisationen ist die Transformation ein mühsamer Prozess, der oft scheitert. Sie ist vielleicht auch das stetige, nie komplett ausformulierte To-Do auf der Aufgabenliste. Oft wird sie als Ausrede benutzt, um eine Begründung für eine ungewisse oder schwer kommunizierbare Lage zu schaffen: “Wir transformieren uns gerade” oder “Unsere Organisation stellt sich neu auf”. Die Fähigkeit, sich neu zu erfinden und mit unsicheren Situationen klarzukommen, wird immer wichtiger. Nicht nur, um als Organisation weiterhin erfolgreich zu sein, sondern auch, um sich gesellschaftlichen Herausforderungen erfolgreich stellen zu können - oder um es positiv aufzudrücken: dem Wandel hin zu einer neuen Art des Wirtschaftens.

Dabei werden Themen wie Transformation, Change und auch Innovation oft als Allheilmittel angesehen, an dessen Ende neue Lösungen stehen sollen. So wie vieles in unserer schnellen Welt, steigt mit zunehmender Unsicherheit und Planlosigkeit die Sehnsucht nach effizienten Lösungen.

Dabei ist keines davon mit einer schnell wirkenden Schmerztablette vergleichbar. Eine wirkliche Transformation beinhaltet Ursachenforschung und Verhaltensänderung. Auf Organisationen bezogen bedeutet dies, die zugrunde liegenden Konzepte und Strukturen zu stabilisieren. Anstatt sofort Lösungen auf Probleme zu werfen, sollten wir uns die Zeit nehmen, die Matrix dahinter zu verstehen und zu hinterfragen. Nur so können wir nachhaltige und wirklich transformative Veränderungen erreichen.

Veränderungen?! - Ja, da gibt's ganz viele

Wir leben in einer Welt, die sich rasant verändert.Betrachtet man diese raschen Veränderungen und technologischen Fortschritt genauer, wird klar: Die Beschleunigung steigert sich immer weiter. Doch wie lange noch? Denn so langsam steigen die Zweifel daran, dass die Märchen von endlosem Wachstum und rücksichtsloser Ressourcennutzung auch mit diesem Wachstum mithalten kann.1

Historisch gesehen waren Umbrüche häufig die Konsequenz von neuen technologischen und ökonomischen Möglichkeiten. Nun kommt ein akuter, externer Veränderungsdruck hinzu. Denn die Veränderung vor der die globale Wirtschaft derzeit steht, ist quasi der Endgegner: Klimawandel! Damit entsteht die Notwendigkeit einer grundlegenden Transformation hin zu Nachhaltigkeit und Regeneration.

Die Vielzahl globaler systemischer Krisenphänomene, allen voran die Klimakrise, treibt eine Vielzahl von weiteren Krisen voran.2 Die Vision, unser eigenes Handeln und Wirtschaften zu transformieren, ist dabei der einzige Pfad, der Organisationen bleibt. Sie verdeutlicht, dass wir die Aufgabe haben, einen fundamentalen Systemwandel zu gestalten. Dieser Wandel ist nicht nur eine Antwort auf die drängenden ökologischen Krisen unserer Zeit, sondern auch eine Chance, die Art und Weise, wie wir Geschäfte machen, neu zu denken und zu gestalten.3

Das Problem: Transformation vs. Kontrolle

Bevor wir diese, im vorherigen Abschnitt beschriebenen, Probleme jedoch lösen können, müssen wir nochmal ein Schritt zurück machen und diejenigen betrachten, die sich wandeln wollen: Organisationen. Bedeutende Charaktereigenschaften von Organisationen sind Effizienz und Kontrolle. Denn was sie vermitteln wollen sind Gewissheit und Verbesserung.

Effizienz ist erst einmal gut. Wir sparen Ressourcen und bekommen mehr von dem, was wir eigentlich brauchen. Und das Ganze bei gleichzeitig geringerem Einsatz von dem, was wir vermeiden wollen. Auch Kontrolle verspricht viele Vorteile, die Organisationen benötigen, um sich zu erhalten und ihre Vorhaben zu steuern. Der Kerngedanke einer Organisation baut auf diesen beiden Eigenschaften auf, denn an sich soll das Verhalten vieler verschiedener Personen ja koordiniert und abgestimmt werden. So sind wir in der Lage, durch kontrollierte Prozesse und Abläufe viele Individuen effizient zusammenspielen zu lassen. Doch das ist nur die interne Sicht, die wir betrachten.

Die externen Faktoren, also unsere Umwelt, die in unserem Zeitalter eine beachtliche Rolle spielt, hat nämlich einen gar heimtückischen Wesenszug: Sie ist unplanbar - und das mögen Organisationen gar nicht. Wenn es darum geht, sich neu zu erfinden, weil Einflüsse von außen wirken, die weder vorhersehbar noch kontrollierbar sind, stoßen Organisationen oft an ihre Grenzen.  Sie haben nur gelernt, innerhalb eines selbst vorgegebenen Rahmens innovativ zu sein - dem System ihrer Organisation. Nach außen gerichtet benötigt es allerdings Resilienz, als auch die Skills und Kompetenzen, nicht nur auf externe Krisen zu reagieren, sondern sich auch proaktiv auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten, um gestärkt daraus hervorzugehen. Wer in der heutigen Welt bestehen will, muss sich paradoxerweise mit Unsicherheit und Mehrdeutigkeit wohlfühlen. 4

Denn, wenn etwas nicht planbar erscheint, dann ist Planung auch der falsche Weg. Hier muss der Angang überdacht werden, um in Ungewissheit reaktionsfähig zu bleiben.

Der Wandel als Chance: Ein neues Verständnis von Fortschritt

Die Transformation der Wirtschaft erfordert ein Umdenken in Bezug auf traditionelle Erfolgsmodelle. Laut einer Studie des MIT Sloan Management Review müssen Unternehmen ökonomische Resilienz mit ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit verbinden, um langfristig erfolgreich zu sein.5 Dieser Wandel stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen, bietet aber auch die Möglichkeit, relevanter in einer sich schnell verändernden Welt zu bleiben.

Es bedarf daher eines fundamentalen Shifts in unserem Denken. Statt linearer, extraktiver Modelle müssen wir zirkuläre, regenerative Ansätze entwickeln. Dies bedeutet, Abfälle als Ressourcen zu betrachten, Produkte von Anfang an für Langlebigkeit und Wiederverwendung zu konzipieren und natürliche Systeme als Vorbilder für unsere wirtschaftlichen Prozesse zu nutzen. Dabei geht es nicht nur darum, alles, was intern passiert, besser zu machen, sondern die Fühler in Bereiche auszustrecken, von denen man meint, Kontrolle oder Einfluss verloren zu haben. Dort liegen die Potenziale, auch außerhalb der Organisation Veränderungen anzustoßen und die externen Effekte in das unternehmerische Geschehen einzubinden. Unternehmen können dadurch nicht nur neue Geschäftsmöglichkeiten entdecken, sondern positionieren sich auch als Vorreiter in einer Ära, in der ökologische Verantwortung zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil wird. Die starre Organisation wird dadurch wesentlich flexibler. Dabei ist die gestaltungsoffene und handlungsbereite Sicht nach vorn essenziell. Sich bewusst werden, dass man einen Einfluss hat und die Zukunft kein Zustand ist, der einfach irgendwann kommt. Es braucht hierfür praktische Erfahrungen in denen aktiv mitgestaltet und kreiert wurde. Anders gesagt: Eine erlebbare und erfolgreiche Innovation ist ein Grundpfeiler für die Transformation, da sie eine Handlungsfähigkeit aufzeigt. Diese passiert allerdings nicht durch Zufall sondern muss aktiv und selbstregiert herbeigeführt werden.

Innovation ist die Fähigkeit, kreative Lösungen für komplexe Probleme zu finden und dabei bestehende Annahmen ständig zu hinterfragen.

An dieser Stelle kommt die Rolle der Innovation zum Tragen. Sie ist mehr als die Einführung neuer Produkte oder Dienstleistungen; sie ist ein umfassender Prozess, der Kreativität, Risikobereitschaft und die Fähigkeit, bestehende Annahmen in Frage zu stellen, umfasst. In einem Umfeld, das Innovationen fördert, können Unternehmen agil bleiben und sich an Herausforderungen anpassen.

Flexibilität in einer sich wandelnden Welt

Am Ende geht es hierbei nämlich um Fähigkeiten – und wie Luhmann kann man den Begriff der Innovation dann auch “entmystifizieren”. In der Systemtheorie ist es nämlich plump, die Fähigkeit , die Gelegenheiten auszunutzen, die sich bieten. Für genau diese Situationen braucht es die Bereitschaft in Form von dem dafür bereitgestellten Tools, Mindset und Skills. 6

Zusammengefasst also eine Anpassungsfähigkeit, welche entscheidend für das Überleben und Gedeihen von Organisationen in einem sich ständig verändernden Marktumfeld ist. Organisationen, die lernen, flexibel zu sein und schnell auf Veränderungen zu reagieren, werden nicht nur überleben, sondern auch florieren. Man kann dabei Organisation nicht miteinander vergleichen. Wir haben nicht das Problem und die Ursache dafür, sondern immer nur Systeme vorliegen, die komplexe Probleme mit sich bringen. Was für eine Organisation eine Blaupause ist, ist für eine anderen ein K.O.-Kriterium. Deswegen sind Standards und “einfache” Checklisten nicht zielführend. Es müssen eher gewisse hilfreiche Fähigkeiten fokussiert und qualitativ aufgebaut werden.

Irritationen und Widersprüche müssen ernst genommen und als Ausgangspunkt für Veränderung angenommen werden

1. Transformation ist oft Ausrede oder Allheilmittel – Hauptsache schnell und effizient einsetzbar.

2. Transformation braucht jedoch qualitative Arbeit – also Zeit für Ursachenforschung und Verhaltensänderung.

3. Transformation bedeutet, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit zu akzeptieren – Innovationsprozesse helfen uns, die Komplexitäten zu bewältigen.

Adaptive Strategien für den langfristigen Erfolg

Die Entwicklung adaptiver Strategien, die es ermöglichen, schnell und effektiv auf Veränderungen zu reagieren, ist unverzichtbar für jedes Unternehmen, das in der heutigen volatilen Welt bestehen möchte. Das bedeutet: ständig am Puls der Zeit zu sein, Trends zu erkennen und entsprechend zu handeln. Den “Autopiloten einzuschalten”, funktioniert hier nicht, muss es aber auch gar nicht. Wir haben genügend Möglichkeiten, Ressourcen und Fähigkeiten, um bewusste und gut überlegte Entscheidungen zu treffen. Nur weil sich die Welt um uns herum immer schneller dreht, heißt das nicht, dass qualitative Arbeit aus der Mode gekommen ist. Am Ende ist die Kernessenz einer transformationsbereiten Organisation und Gesellschaft die Wertschätzung von qualitativer Arbeit. Würden wir wirklich dem Tempo der Beschleunigung in allen Bereichen standhalten wollen, dann rasen wir an den entscheidenden Aufgaben vorbei. Und wer hat eigentlich gesagt, dass Hetzen gleich Produktivität ist? Die schnelle Erkenntnis ist nicht zwangsläufig die beste Lösung, wenn ein großer Teil von Unachtsamkeit mitschwingt. “Trial and Error” ist wichtig und wird auch von uns im täglichen Doing geschätzt. Aber nicht, wenn wir zwanghaft auf zehn Ideen setzen, obwohl wir genau wissen, dass die letzten fünf nie realisiert werden können. Andererseits sollten wir uns natürlich die Zeit nehmen, alle zehn Ideen zu prüfen – vielleicht ist etwas dabei, das wir vorher nicht in Betracht gezogen haben. Ihr seht: Am Ende entscheidet die nicht schematisierbare Qualitätsarbeit.

Das neue Narrativ: Von der Konkurrenz zur Kooperation

Jetzt kann man sagen: okay, einfach innovativ und flexibel bleiben und dann wird das. Also, muss ich mir ja nur noch besser meine Organisation von außen anschauen. Ja – aber das ist nur die halbe Wahrheit. Jede Organisation ist ein System, das sich selbst organisiert und von seiner Umwelt abgrenzt. Doch das bedeutet nicht, dass dieses isoliert ist. Es muss ständig mit seiner Umwelt interagieren, um zu überleben und sich anzupassen. Wer von außen drauf guckt, sollte auch mal mit “dem Außen” sprechen, denn die Transformation zu einem nachhaltigeren Wirtschaftsmodell kann nicht im Alleingang erfolgen. Diese Veränderung braucht die Zusammenarbeit von allen Organisationen: Unternehmen, Regierungen, NGOs und der Zivilgesellschaft – all denen, die die “Umwelt” bilden. So können Organisationen durch den Austausch mit ihrer Umwelt lernen und sich weiterentwickeln. 7

Und da darf man gerne auch mal systemübergreifend Betrachtungen anstellen. Durch den Austausch von Wissen, Ressourcen und Best Practices können Organisationen innovative Lösungen schaffen, die sowohl wirtschaftlich tragfähig als auch ökologisch nachhaltig sind. Diese Art der Zusammenarbeit hat das Potenzial, nicht nur technologische Durchbrüche zu erzielen, sondern auch neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der wirtschaftlichen Organisation hervorzubringen.

Fazit: Widersprüche als Treiber zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft

Die Transformation von Organisationen ist ein komplexes, aber entscheidendes Unterfangen, das eine Neubewertung unserer aktuellen Praktiken und Geschäftsmodelle erfordert. Die Komplexität und Widersprüchlichkeit (mehr dazu auch im Insight über das Händeln von Beidhändigkeit) hat jedoch auch etwas Gutes: Es erfordert Innovation und Kreativität und bildet somit, wie Luhmann es nennt, eine “Durchgangsstation” zu neuen Denkansätzen. Gerade durch das Auseinandersetzen mit diesen Widersprüchen entstehen neue Chancen. Durch die Förderung von Innovationsfähigkeit, Flexibilität und adaptiven Strategien können Unternehmen nicht nur auf die Herausforderungen von heute reagieren, sondern auch aktiv eine nachhaltige Zukunft gestalten.

Die Transformation von wirtschaftenden Organisationen ist dabei weniger eine Option, als eine Notwendigkeit. Doch sie bietet uns die einmalige Chance, eine Welt zu gestalten, die wahrhaftig regenerativ ist. Eine Welt, in der wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand geht mit ökologischer Regeneration und sozialem Wohlergehen. Diese Transformation bietet nicht nur die Möglichkeit, neue Geschäftsmöglichkeiten zu entdecken, sondern auch als Vorreiter in einer Ära zu fungieren, in der ökologische Verantwortung zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil wird.

Dieser Weg wird nicht einfach sein. Er erfordert Mut, Kreativität und die Bereitschaft, alte Gewissheiten loszulassen. Und das Verständnis, dass es sich bei der Transformation in egal welchem Kontext um eine stetige Reise und Weiterentwicklung handelt.

Doch für diejenigen, die bereit sind, diese Reise anzutreten, winken nicht nur neue Geschäftsmöglichkeiten, sondern die Chance, aktiv an der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft mitzuwirken. Da helfen Theorien weniger als die Erkenntnis aus eigenen Erfahrungen, die richtigen Schlüsse zu ziehen und das aktive Verstehen und Selbstreflexion als wesentliche Bestandteile der Agenda zu sehen. Und am Ende mit der Gewissheit leben zu lernen, dass nichts gewiss ist. Also sollten wir nun anfangen mit dem Erkennen, “Rauszoomen”, sowie vielfältigem Lernen von Organisationsaufbau, Transformation und Wirtschaften generell! Denn wie es Hans Rusinek in seinem Buch, „Work-Survice-Balance - Warum die Zukunft der Arbeit auch die Zukunft unserer Erde“, das Thema perfekt zusammenfasst: "Den Lernenden gehört die Zukunft."

Fußnoten

1: Ralf Fücks: Wachstum der Grenzen - Auf dem Weg in die ökologische Moderne

2: Christian Schuldt: Wie gelingt Transformation im 21. Jahrhundert?

3: Mark G. Edwards: The growth paradox, sustainable development, and business strategy

4: Margaret Wheatley & Pema Chodron: It Starts With Uncertainty

5: Maurice Berns, Nina Kruschwitz et al.: The business of sustainability

6: Paritätische Akademie Berlin: Wie kommt das Neue in die Welt: Innovation und Systemtheorie

7: Niklas Luhmann: Systemtheorie der Organisation

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