Change & Enablement

Sinnstifende Arbeit ist zukunftsfähige Arbeit

‍Wenn Arbeit nur noch Mittel zum Zweck ist

Kathrin Meyer

In den letzten Jahren hat sich die Arbeitswelt stark gewandelt: Prozesse werden beschleunigt, und der Druck, ständig verfügbar und leistungsfähig zu sein, steigt kontinuierlich. Die Folgen sind unübersehbar: Diagnosen wie Burnout/ Boreout, Depressionen und Angststörungen nehmen zu, und viele Beschäftigte empfinden ihre Arbeit trotz verkürzter Arbeitszeiten und geringerer körperlicher Anstrengungen als zunehmend belastend [5].

Diese Besorgnis ist nicht neu, doch durch die fortschreitende Digitalisierung und die zunehmenden Herausforderungen durch die Klimakrise gewinnt das Thema an neuer Dringlichkeit. Es wächst die Sorge, dass sich immer mehr Menschen von ihrer Arbeit entfremden und diese nur noch als Mittel zum Zweck betrachten – wie etwa zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Folge: Frustration und Erschöpfung nehmen zu, während Motivation, Loyalität und Leistungsbereitschaft schwinden – was langfristig auch dem Unternehmen schadet. Das Motto scheint zu lauten: Wenn die Arbeit uns nicht mehr braucht, wofür brauchen wir dann die Arbeit? [4]

Der Ruf nach sinnstiftender Arbeit

Die Frage nach dem Sinn der Arbeit kann auf verschiedenen Ebenen gestellt werden: Einerseits betrifft sie die individuelle Erfahrung von Sinn oder Entfremdung in der Arbeit. Andererseits geht es um die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit in einer zunehmend technologisierten und umweltbewussten Welt. Wie Hans Rusinek in seinem Buch „Work-Survive-Balance“ betont, ist es entscheidend, beide Ebenen im Gleichgewicht zu halten. Es genügt nicht, den „großen Sinn“ der Arbeit in gesellschaftlich relevanten Bereichen wie Gesundheit, Ernährung oder Nachhaltigkeit zu betonen. Ebenso wichtig ist, dass Mitarbeitende im Alltag faire und respektvolle Arbeitsbedingungen sowie Wertschätzung erfahren [7].

Ob Menschen ihre Arbeit als sinnvoll empfinden, hängt somit von mehreren Faktoren ab. Auch wenn Sinn eine individuelle Erfahrung ist, gibt es allgemein anerkannte Kriterien, die eine Tätigkeit als erfüllend oder sinnlos erscheinen lassen. Zu den entscheidenden Faktoren zählen: [9].

  1. Bedeutsamkeit der Tätigkeit
  2. Soziale und ethische Arbeitsumgebung
  3. Passung von Person und Arbeit
  4. Unternehmensorientierung

Bedeutsamkeit der Tätigkeit

In Zeiten, in denen die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben zunehmend verschwimmen und traditionelle Arbeitsmodelle die Ressourcen unseres Planeten belasten, wächst das Bedürfnis nach Arbeit, die nicht nur wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch persönlichen und gesellschaftlichen Mehrwert schafft. Ein zentraler Faktor für sinnvolles Arbeiten ist die Wahrnehmung, dass die eigene Tätigkeit einen positiven Unterschied für andere macht. Das heißt, dass Mitarbeitende die den Zweck ihrer Arbeit im größeren Zusammenhang erkennen, nicht nur zufriedener, sondern auch gesünder und produktiver sind. Sie arbeiten engagierter und fühlen sich stärker mit ihrem Arbeitgeber verbunden [9] [10].

Ein Experiment von Grant (2008) bestätigt diese Erkenntnis: Callcenter-Mitarbeiter, die Spenden für eine Universität sammelten, wurden in drei Gruppen eingeteilt. Während die erste Gruppe ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzte und die zweite Gruppe lediglich Informationen über die Karrieremöglichkeiten in ihrem Job erhielt, las die dritte Gruppe Briefe von Studierenden, deren Stipendien durch die eingeworbenen Spenden finanziert wurden. Diese direkte Rückmeldung über den Nutzen ihrer Arbeit führte dazu, dass die Mitarbeiter der dritten Gruppe ihre Leistung massiv steigerten und ihre Spenden um 243 % erhöhten [3].

Unternehmen, die ausschließlich auf finanzielle Anreize setzen und die tieferen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden ignorieren, riskieren daher nicht nur den Verlust wertvoller Talente und eine sinkende Produktivität, sondern gefährden langfristig auch ihre eigene Zukunft [1].

Mit dem Wandel der Arbeitswelt, vor allem durch die fortschreitende Digitalisierung, eröffnen sich zudem neue Chancen: Routinetätigkeiten, die häufig als sinnlos empfunden werden, können reduziert oder sogar eliminiert werden. Dadurch entsteht mehr Raum für komplexere, bedeutsamere Aufgaben. Diese Entwicklung fördert nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern ermöglicht es auch, bisher im Schatten gestandene Tätigkeiten wie Freiwilligenarbeit oder kreative Projekte in den Fokus zu rücken. Arbeit kann somit neu definiert und als wertvoller sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft wahrgenommen werden [5][6].

Ethisch-soziale Arbeitsumgebung

Damit eine Tätigkeit als erfüllend wahrgenommen wird, ist es nicht ausreichend, dass sie objektiv als sinnvoll gilt; die Mitarbeitenden müssen diesen Sinn auch subjektiv und unmittelbar erfahren können. Eine Studie der Freien Universität Berlin illustriert dies anhand des Beispiels von Sicherheitskräften an Flughäfen: Obwohl sie ihre Arbeit als notwendig und gesellschaftlich relevant einschätzen, empfinden sie sich häufig als austauschbare Elemente in einem starren System. Diese Form der Entfremdung verdeutlicht, dass die Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit in der Arbeit stark von den Arbeitsbedingungen und organisationalen Strukturen beeinflusst wird.

Die Arbeitsbedingungen und das Umfeld spielen somit eine ebenso zentrale Rolle für das Erleben von Sinnhaftigkeit wie der eigentliche Nutzen der Arbeit. Wenn Mitarbeitende ihre Tätigkeit als bedeutungslos empfinden – sei es durch fehlende Anerkennung, mangelnde Herausforderungen oder interne Konflikte – kann dies schnell zu einer Sinnkrise führen. Auch restriktive Hierarchien, übermäßige Bürokratie, geringe Autonomie und der unüberlegte Einsatz digitaler Technologien verstärken die Entfremdung, selbst wenn die Tätigkeit objektiv sinnvoll erscheint.

Da der Mensch sowohl ein schaffendes als auch ein soziales Wesen ist, sind Kollegialität und ein unterstützendes Arbeitsumfeld entscheidend für die Sinnwahrnehmung. Ein starkes Zugehörigkeitsgefühl, geprägt durch ein Betriebsklima von Transparenz, Wertschätzung und Mitbestimmung, fördert das Gefühl der Sinnhaftigkeit erheblich. Je positiver das Arbeitsklima, desto stärker wird die Arbeit als erfüllend erlebt [8].

Passung von Person und Arbeit

Ein zentraler Faktor für die berufliche Sinnerfüllung ist die Übereinstimmung zwischen der Person und ihrer beruflichen Rolle. Wenn Mitarbeitende spüren, dass ihre Fähigkeiten, Persönlichkeit, Interessen und Werte mit den Anforderungen ihrer Tätigkeit sowie den Werten des Unternehmens im Einklang stehen, erleben sie ihre Arbeit als bedeutungsvoll und sinnstiftend. Diese Passung ermöglicht es ihnen, sich nicht nur mit ihrer Arbeit zu identifizieren, sondern auch ein tieferes Gefühl von Zugehörigkeit und persönlicher Entfaltung zu entwickeln, was wiederum zu mehr Zufriedenheit und Erfüllung im Berufsleben führt.

Fehlt jedoch diese Passung, kann es schnell zu Unter- oder Überforderung kommen. Überforderung entsteht häufig durch hohen Leistungs- und Zeitdruck, während Unterforderung – das sogenannte „Bore-out“ – auf fachlicher Ebene zu Langeweile und Desinteresse führt. Beide Zustände sind mit ähnlichen negativen Auswirkungen verbunden, einschließlich Erschöpfung, innerer Distanz und sozialem Rückzug. Solche Missstände zeigen, wie entscheidend eine ausgewogene Passung zwischen Mitarbeitenden und ihren beruflichen Anforderungen für langfristiges Wohlbefinden und Motivation ist [8].

Viele Mitarbeitende empfinden ihre Arbeit als sinnvoll, wenn sie das Gefühl haben, hinter ihrer Tätigkeit und den Zielen des Unternehmens zu stehen – selbst wenn nicht alle persönlichen Interessen und Werte vollständig übereinstimmen. Dennoch ist eine grundlegende Übereinstimmung zwischen den Anforderungen der Rolle und den individuellen Fähigkeiten und Werten entscheidend, um langfristig Zufriedenheit und Motivation sicherzustellen.

Daraus folgt, dass Unternehmen gefordert sind, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die nicht nur physische und psychische Belastungen reduzieren, sondern auch die berufliche Weiterentwicklung ihrer Angestellten unterstützen. Diese Forderung nach Respekt und Wertschätzung professioneller Fähigkeiten steht in engem Zusammenhang mit dem Wunsch der Mitarbeitenden, ihre Arbeit in Einklang mit sozialen und ökologischen Werten zu gestalten. Solche Bedingungen schaffen eine Basis, die nicht nur das individuelle Wohlbefinden fördert, sondern auch das Engagement und die Loyalität gegenüber dem Unternehmen langfristig stärkt. [4].

Unternehmensorientierung

Die Ausrichtung eines Unternehmens spielt eine entscheidende Rolle für das Sinnempfinden der Mitarbeitenden. Unternehmen, die ihre wirtschaftlichen Ziele mit sozialem und ökologischem Engagement verbinden und über die gesetzlichen Vorgaben hinaus Verantwortung übernehmen, fördern bei ihren Mitarbeitenden das Gefühl, Teil eines größeren, sinnstiftenden Ganzen zu sein. Dies steigert nicht nur die Identifikation mit dem Unternehmen, sondern auch die Motivation und das Engagement der Mitarbeitenden.

Allerdings reicht es nicht aus, dass diese Werte lediglich in Leitbildern verankert sind – sie müssen im Arbeitsalltag tatsächlich gelebt werden. Führungskräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle: Sie sollten nicht nur inspirieren, sondern auch Sinn und Wertschätzung vermitteln. Durch eine offene Feedbackkultur und partizipative Entscheidungsprozesse, unterstützt von klaren Visionen, wird das Vertrauen der Mitarbeitenden gestärkt. Dies fördert nicht nur die Identifikation mit der eigenen Arbeit, sondern auch mit den Zielen des Unternehmens [2].

Diese Neuausrichtung hin zu einer sinnstiftenden Arbeitskultur bietet Unternehmen eine große Chance. Indem sie nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Sinn bieten, schaffen sie ein Umfeld, das auf intrinsischer Motivation und einem positiven gesellschaftlichen Beitrag basiert. Besonders angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel wird die Verbindung von Sinn und Nachhaltigkeit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor. Nachhaltigkeit wird hier nicht nur im ökologischen Sinne verstanden, sondern bezieht sich auch auf den schonenden Umgang mit den Mitarbeitenden. Dies bedeutet, dass Unternehmen Arbeitsbedingungen schaffen, die langfristig die physische und psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördern  [4].

Sinnvolle Arbeit neu denken

Um eine nachhaltige und sinnstiftende Arbeitswelt zu gestalten, reicht es nicht aus, bestehende Strukturen lediglich anzupassen. Es erfordert, alte Denkmuster zu durchbrechen und aktiv Raum für Neues zu schaffen. Denn gerade durch Innovationen lassen sich wirtschaftliche Ziele mit der Bewältigung gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen verbinden. So entstehen nachhaltige Lösungen, die sinnvolle Tätigkeiten fördern und sowohl den Mitarbeitenden als auch der Gesellschaft zugutekommen.

Ansätze wie Corporate Social Responsibility (CSR) helfen Unternehmen, durch wohltätige und nachhaltige Maßnahmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Allerdings bleibt CSR oft nur ein ergänzender Aspekt, ohne das Kerngeschäft grundlegend zu verändern. Corporate Social Innovation (CSI) geht hier einen entscheidenden Schritt weiter: Soziale und ökologische Ziele werden fest in die Unternehmensstrategie eingebunden und als Treiber für Innovation und Wachstum genutzt. Dadurch verknüpfen Unternehmen ihre Innovationsprozesse direkt mit gesellschaftlichem Engagement.

Für die Mitarbeitenden wird ihre Arbeit so nicht nur bedeutungsvoller, sondern Teil einer größeren, sinnvollen Bewegung, die aktiv zur Bewältigung globaler Herausforderungen beiträgt. Arbeit bleibt in dieser sich wandelnden Welt nicht nur relevant und wertvoll, sondern schafft langfristigen Nutzen – für das Individuum, das Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes.

→ Verweis zum Insight Artikel CSR is out von Emily

Fußnoten

1. Badura, B. (2018). Über sinnstiftende Arbeit. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose, & M. Meyer (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2018 (S. 1–10). Springer-Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-662-57388-4_1

2. Felfe, J., Krick A., Reiner A. (2018). Wie kann Führung Sinn stiften? – Bedeutung der Vermittlung von Sinn für die Gesundheit. In Badura, B., Ducki, A., Schröder,H., Klose J., Meyer, M. (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2018 (S. 217). Springer.

3. Grant AM (2008) The significance of task significance: Job per- formance effects, relational mechanisms, and boundary conditions. J Appl Psychol 93:108–124

4. Hardering, F., & Lenz, S. (2017). Wie viel Nachhaltigkeit braucht gute Arbeit? Arbeitsansprüche in beruflichen Umbruchphasen. AIS-Studien, 10(2), 7–19. https://doi.org/10.21241/ssoar.64841

5. Hardering, F. (2021). Von der Arbeit 4.0 zum Sinn 4.0? Über das Sinnerleben in der Arbeit in Zeiten der Digitalisierung. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 46(1), 27–44. https://doi.org/10.1007/s11614-020-00439-4

6. Hardering, F. (2020). Sinn in der Arbeit: Überblick über Grundbegriffe und aktuelle Debatten. Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30816-2

7. Müller, C. (2020). Wie Corona das Kaufverhalten der Deutschen verändert. Wirtschaftsdienst, 100(4), 243–249. https://doi.org/10.1007/s10273-020-2587-8

8. Rusinek, H. (2023). Work-Survive-Balance: Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist. Herder.

9. Schnell, T. (2018). Von Lebenssinn und Sinn in der Arbeit. Warum es sich bei beruflicher Sinnerfüllung nicht um ein nettes Extra handelt. In M. Badura, A. Ducki, H. Schröder, & J. Klose (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2018 (S. 11–21). Springer.

10. Schnell T, Hoege T, Pollet E (2013) Predicting Meaning in Work: Theory, Data, Implications. J Posit Psychol 8:543–554.

11. Felfe, J., Krick A., Reiner A. (2018). Wie kann Führung Sinn stiften? – Bedeutung der Vermittlung von Sinn für die Gesundheit. In Badura, B., Ducki, A., Schröder,H., Klose J., Meyer, M. (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2018 (S. 217). Springer.

12. Flüter-Hoffmann, C. (2018). Sinnstiftung als Erfolgsfaktor: Wie Arbeitgeber dazu beitragen können, dass Beschäftigte ihre Arbeit als sinnvoll erleben, In Badura, B., Ducki, A., Schröder,H., Klose J., Meyer, M. (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2018 (S. 205 – 206). Springer.

13. Hammermann, A. (2022). Sinnstiftende Tätigkeiten binden Mitarbeiter (IW-Kurzbericht 42/2022). Institut der deutschen Wirtschaft Köln. https://www.iwkoeln.de/presse/iw-nachrichten/beitrag/sinnstiftende-taetigkeiten-binden-mitarbeiter.html

Weitere spannende Insights

Neue Geschäftsmodelle

Stadtwerke als Treiber des Wandels durch neue Geschäftsmodelle positionieren

Wie mittels Leuchtturmprojekten die erfolgreiche Etablierung als Innovator gelingen kann
Change & Enablement

Innovation from the inside: Unternehmenswachstum durch Intrapreneurship

Wie Intrapreneur:innen die eigene Organisation innovieren und zu einem zukunftsfähigen Anlaufpunkt transformieren
Schnell und einfach
zum Erstgespräch