Stadtwerke spielen eine zentrale Rolle in der Versorgung unserer Kommunen – von Energie über Wasser bis zum Nahverkehr. Was alle Stadtwerken vereint, ist ihr kommunaler Versorgungsauftrag. Neben der Gewährleistung dieses Auftrages sind Stadtwerke auch am Gemeinwohl, das heißt an der kontinuierlichen Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Region interessiert. Doch dieses Engagement allein reicht in der heutigen Zeit nicht mehr aus. Der Wandel hin zu einem offenen und wettbewerbsintensiven Markt durch die Liberalisierung der Energiewirtschaft und die Öffnung für private Anbieter zwingt die Stadtwerke, ihre Komfortzone zu verlassen und sich ständig neu zu erfinden. In diesem Insight zeigen wir auf, wie dies durch strukturierte Innovationsarbeit gelingen kann, warum die Rolle als Fast Follower dafür wichtig sein kann und wie externe Transformationsberater:innen die Innovationsarbeit von Stadtwerken beschleunigen, indem sie den Weg von der Idee zur Markteinführung erheblich verkürzen.
Das Umfeld verändert sich rasant: Steigende Konkurrenz, der Trend hin zu komplexen Energielösungen und die Unabhängigkeit der Kund:innen drohen die Umsatzpotenziale bei Stadtwerken zu schmälern. Der Strommarkt ist hier ein Paradebeispiel, in dem ein Rückgang von 20 bis 30 Prozent möglich scheint. Doch genau in dieser Herausforderung steckt eine große Chance. Durch ihre enge Verbindung zur Region und ihr breites Leistungsspektrum können Stadtwerke innovative und vorallem individuelle Angebote schaffen, die passgenau auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort zugeschnitten sind. 1
Um diese Chancen zu nutzen, müssen Stadtwerke Veränderungen vorantreiben und ihre internen Strukturen sowie die Unternehmensstrategie anpassen. Nur so bleiben sie wettbewerbsfähig und können ihre regionalen Stärken gezielt einsetzen.
Der erste Schritt besteht darin, eine klare Vision und Strategie für Innovation zu entwickeln, die nicht nur klassische Versorgungsaufgaben, sondern auch neue Geschäftsmodelle umfasst. Viele Stadtwerke verfügen noch nicht über eine definierte Innovationsstrategie und lassen dadurch wertvolle Potenziale ungenutzt. Andere Energieversorger setzen hier bereits Benchmarks: Ihr hoher Innovationsgrad und die organisatorische Verankerung von Innovationsprojekten zeigen, dass strategische Innovation heute eine wesentliche Voraussetzung im Wettbewerb ist – kein „Nice-to-have“, sondern eine Notwendigkeit für die Zukunftsfähigkeit.
Stadtwerke sollten Innovationsfelder identifizieren, die ihnen helfen, den Wandel aktiv zu gestalten. Dies können u.a. grüne Energieprodukte, smarte Mobilitätslösungen oder digitale Dienstleistungen sein, die das Leben der Menschen einfacher und nachhaltiger machen. Ebenso Aufklärungs- und Bildungsangebote, wie Workshops, Schulungen und Informationskampagnen, die das Bewusstsein für Energiesparen und Klimaschutz schaffen. So gelingt die Position als regionaler Nachhaltigkeitspartner und die Stärkung der Resilienz im Wettbewerbsumfeld.
Innovationen brauchen Raum zur Entfaltung und einen systematischen Ansatz, der den Innovationsprozess strukturiert und die Zusammenarbeit innerhalb der Abteilungen fördert. Für öffentliche Versorger ist es entscheidend, rasch testfähige Produkte auf den Markt zu bringen, um frühzeitig Effizienzgewinne und Serviceverbesserungen zu validieren. Durch Pilotprojekte können neue Ideen schnell getestet und bei Erfolg skaliert werden. Dies beschleunigt die Anpassung an die Marktveränderungen und minimiert gleichzeitig das Risiko von Fehlinvestitionen.
Neue Lösungen sind nur dann erfolgreich, wenn sie den Bedürfnissen der Kund:innen gerecht werden. Hier können Stadtwerke durch gezielte Leuchtturmprojekte Vertrauen aufbauen und ihre Rolle als moderner, innovativer Versorger festigen. Die strategische Ausrichtung sollte dabei in verschiedene Kundensegmente unterteilt werden:
Nachhaltig agierende Kund:innen: Im Fokus stehen grüne Lösungen und eine hohe Transparenz über die eigenen Produkte und Services. Das eigene Unternehmen muss Nachhaltigkeit vorleben und in allen Bereichen danach handeln.
Digital und preisbewusst agierende Kund:innen: Der Fokus liegt auf kostengünstigen und digital angebotenen Produkten und Services. Die Kommunikation mit den Kund:innen erfolgt dabei ausschließlich digital. Es gilt, die Entwicklung hin zum „Online-EVU" anzutreten.
Regional und serviceorientierte Kund:innen: Alle Services und Produkte der Stadtwerke sind auf die Menschen und Unternehmen der Region ausgerichtet und sollten diesen auch bei komplexen Fragestellungen konkrete Lösungen aufzeigen. Dies erfordert eine konsequente regionale Positionierung und hohe Wahrnehmbarkeit in der Region.
Sowohl intern, als auch in der öffentlichen Wahrnehmung können solche Leuchtturmprojekte den Innovationscharakter von Stadtwerken hervorheben.1
Wie bereits erwähnt, verfügen Stadtwerke über eine solide Ausgangsbasis: Ihre starke regionale Verwurzelung und etablierte Marktposition verschaffen ihnen als sichtbare Akteure mit hoher Markenbekanntheit einen klaren Wettbewerbsvorteil. Diese Positionierung wird jedoch selten mit Innovation und Fortschritt assoziiert, was Entwicklungspotenzial bietet. Die besondere Chance für Stadtwerke besteht darin, Bestandskunden sowie neue Zielgruppen durch regionale Nähe und Relevanz anzusprechen und zu binden. Hierbei müssen sie nicht unbedingt als Vorreiter agieren; vielmehr kann der Ansatz des „Fast Follower“ eine wirksame Strategie sein, indem sie bewährte Innovationen aufnehmen und solide umsetzen. Eine gezielte Neuausrichtung und Weiterentwicklung ihres Serviceangebots stärkt nicht nur die Kundenbindung, sondern eröffnet auch Möglichkeiten, neue Zielgruppen für sich zu gewinnen und ihr Leistungsportfolio langfristig auszubauen. 2
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist ein zentrales Gesetz in Deutschland, das den Ausbau der erneuerbaren Energien (wie Wind, Solar, Biomasse und Wasserkraft) fördert und reguliert. Es legt die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen in das öffentliche Netz fest und bietet finanzielle Anreize, um die Nutzung dieser Energien zu steigern.
Das EEG ist ein zentrales Instrument der deutschen Klimaschutzpolitik und dient dazu, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung zu steigern und langfristig die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und regelt in diesem Kontext die Einspeisvergütungen, Marktprämienmodelle, Ausschreibungen, Netzanschluss und -einspeisung.
Die Anforderungen und gesetzlichen Vorgaben des EEG bilden den Nährboden für neue Geschäftsmodelle, fördern Ambitionen für Produkte und Dienstleistungen im Bereich der Energieversorgung und geben Impulse für die Erschließung neuer Innovationsfelder.
Deutlich wird dies am Solarpaket I:
Das Solarpaket I zielt darauf ab, den Ausbau von Photovoltaikanlagen zu beschleunigen und bürokratische Hürden abzubauen. Die Maßnahmen erleichtern sowohl privaten Haushalten als auch Unternehmen den Zugang zu Solarenergie:
In diesem Bereichen entstehen somit Nachfragen genauso wie neue Konzepträume, die durch Stadtwerke bespielt und angeboten werden können. 3
Die neuen Regelungen des EEG 2024 bieten Stadtwerken und Energieversorgern attraktive Möglichkeiten, erneuerbare Energien auszubauen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die vereinfachten Prozesse und erweiterten Fördermöglichkeiten sollen nicht nur den Ausbau von Photovoltaik (PV) beschleunigen, sondern auch die regionale Einbindung stärken und zusätzliche Einnahmequellen schaffen. Trotz des Abbaus bürokratischer Hürden bleibt die Komplexität erhalten, da die Vergütung je nach Jahr und Modell variiert. Dennoch gibt es wichtige Neuerungen, die genutzt werden können, um langfristig zu profitieren.
Die Anpassung der Einspeisevergütungen und die Erweiterung der Marktprämien bieten Stadtwerken mehr Flexibilität bei der Nutzung von PV-Dach- und Freiflächen. Mit der Absenkung der Schwelle für verpflichtende Ausschreibungen von 1.000 kW auf 750 kW können auch kleinere Projekte leichter gefördert werden. Zusätzlich erlauben neue Fördermodelle für Mieterstrom und die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung eine direkte Nutzung von PV-Strom in Mehrparteiengebäuden. Das eröffnet neue Geschäftsmodelle, indem Stadtwerke Mieterstrom direkt an Endkunden liefern und somit neue Kundengruppen erschließen können.
Um den PV-Ausbau weiter zu beschleunigen, wurden Genehmigungsprozesse vereinfacht, und für kleine PV-Anlagen wie Balkonkraftwerke entfällt die Anmeldepflicht. Damit reduziert sich der administrative Aufwand und Projekte können schneller umgesetzt werden. Zudem schaffen neue Nutzungsmöglichkeiten für Agri-PV und Biodiversitätssolaranlagen sowie die bevorzugte Förderung von PV-Anlagen auf versiegelten Flächen wie Parkplätzen oder Lärmschutzwänden zusätzliche Investitionsfelder. Stadtwerke können so vorhandene Flächen besser nutzen und gleichzeitig die Energiewende vorantreiben.
Neue Regelungen erleichtern die Teilnahme an der Direktvermarktung, insbesondere für kleinere Anlagen bis 200 kW, die nicht mehr verpflichtend am Modell teilnehmen müssen. Dadurch sinken administrative Kosten und der Aufwand für die Einspeisung. Auch die unentgeltliche Abgabe von Überschussmengen an Netzbetreiber ist nun möglich, was für Stadtwerke mit hohem Eigenverbrauch eine attraktive Option zur Nutzung von Stromüberschüssen darstellt.
Die Förderung gemeinschaftlicher Energieprojekte und Bürgerenergiegesellschaften bietet Stadtwerken die Chance, größere regionale Projekte in Kooperation mit Bürgern und Unternehmen umzusetzen. Dies stärkt die lokale Einbindung und schafft neue Partizipationsmöglichkeiten. Gleichzeitig erleichtert die Integration von Speichern und kleineren Anlagen den Netzanschluss und unterstützt die Netzstabilität. Stadtwerke können dadurch Speichersysteme gezielt einsetzen, um die Effizienz ihrer Netze zu steigern.
Mit den neuen Regelungen des EEG 2024 stehen Stadtwerken und Energieversorgern zahlreiche Optionen offen, um sich strategisch neu aufzustellen. Die erweiterten Förderungen und vereinfachten Prozesse bieten eine solide Grundlage, um erneuerbare Energien weiter auszubauen, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln und die regionale Wertschöpfung zu stärken. Stadtwerke sollten diese Möglichkeiten proaktiv nutzen, um sich langfristig im Markt zu positionieren und die Chancen des EEG 2024 optimal zu realisieren. 4
Schnelle Validierung und flexible Innovationsansätze sind heute entscheidende Erfolgsfaktoren in einer dynamischen Geschäftswelt. Für Stadtwerke, die den Wandel aktiv gestalten möchten, bieten hierzu externe Transformationsberatungen wertvolle Unterstützung. Neben umfassendem Fachwissen und Branchenkenntnissen bringen diese Berater:innen auch ein Netzwerk mit, das den Zugang zu Partnern, Start-ups und Forschungseinrichtungen erleichtert. Der Blick von außen kann dabei helfen, eingefahrene Strukturen zu hinterfragen und neue Perspektiven zu entwickeln.
Externe Expert:innen bieten zudem hohe Flexibilität und Agilität, besonders bei der schnellen Validierung von Ideen. Während interne Innovationsprozesse oft durch starre Strukturen und langsame Abläufe gehemmt sind, ermöglicht die Zusammenarbeit mit externen Fachleuten einen sofortigen Einstieg in Innovationsprojekte. Durch bewährte Methoden können Hypothesen schnell getestet, Feedback rasch eingeholt und Ergebnisse zeitnah umgesetzt werden, wodurch der Weg von der Idee zur Markteinführung deutlich verkürzt wird.
Die Wichtigkeit eines klar strukturierten Innovationsmanagements wird auch durch die Studie „Innovationen in der Energiewirtschaft sind machbar!“ unterstrichen, die aufzeigt, wie entscheidend klare Prozesse, ambitionierte Ziele und eine fokussierte Marktstrategie sind. Stadtwerke und Energieversorger profitieren davon, ihre Methodenkompetenz kontinuierlich zu stärken, um innovative Produkte und Dienstleistungen erfolgreich am Markt zu etablieren und die Chancen des EEG 2024 optimal zu nutzen.2
1: Dr. Volker Breisig: Stadtwerke der Zukunft – so sehen sie aus.
2: Carsten Schultz, Julia Kroh und Heiner Lütjen: Innovationen in der Energiewirtschaft sind machbar!
3: Sandra Enkhardt: Im Bundesgesetzblatt veröffentlicht: Änderungen aus dem „Solarpaket 1“ treten in Kraft.
4: Bundesministerium der Justiz: Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz - EEG 2023)