Sustainability

Regenerative Geschäftsmodelle: Vom Egoismus zur globalen Verantwortung

19.8.2024

Wie uns systemisches Denken bei der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft helfen kann

Jan Wrobel
Emily Purnell

Wir haben lange in einer bequemen Illusion gelebt. Die Wirtschaft schien ein autark funktioniertendes System zu sein, und der Markt, so glaubten wir, würde sich schon selbst regeln. Wir haben Gewinne privatisiert und ökologische Schäden der Allgemeinheit auferlegt. Was wir dabei komplett übersehen haben ist, dass der Markt nie wirklich alles im Blick hatte: Schon garnicht die natürlichen Ressourcen – die wir als so selbstverständlich erachteten. Was uns nun klar wird ist: Reality strikes back - in Form von Klimawandel, Ressourcenknappheit und sozialer Ungleichheit. Wir müssen umdenken!

Regenerative Geschäftsmodelle sind gegenwärtig nicht mehr nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit. Anders als die altbekannten Ansätze, die lediglich versuchen, den Schaden zu begrenzen, zielen regenerative Modelle darauf ab, die Welt in der wir leben, aktiv zu heilen und zu stärken. Sie sind der Schlüssel zu einer Zukunft, die nicht nur überlebt, sondern gedeiht – und genau das, was wir nun brauchen, um das Blatt nachhaltig zu wenden.

Aber was macht ein regeneratives Geschäftsmodell eigentlich so anders?

Starten wir beim Thema “Organisationen”. Regenerative Geschäftsmodelle erkennen Organisationen wie es z.B. Unternehmen sind als integralen Bestandteil eines größeren ökologischen und sozialen Systems an. Sie streben nicht nur danach, weniger schädlich zu sein, sondern tragen aktiv zur Regeneration von Ökosystemen und Ressourcen sowie zur Förderung sozialer Gerechtigkeit bei. Die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks ist dabei mindestens genauso wichtig, wie deren Folge: Eine positive Auswirkung, die das Wohlbefinden der Erde und ihrer Bewohner stetig verbessert. 1

Regenerative Geschäftsmodelle basieren also auf einer ganzheitlichen Betrachtung der Rolle, die Unternehmen innerhalb der ökologischen und sozialen Systeme haben. Dabei setzen sie auf die aktive Wiederherstellung und Stärkung dieser Systeme. Reine Schadensminimierung, die herkömmliche nachhaltige Geschäftsmodelle fokussierten, ist also obsolet. Diese vier zentralen Merkmale zeigen warum:

1. Kreislaufwirtschaft

Regenerative Geschäftsmodelle setzen auf kreislauforientierte Ansätze, bei denen Abfälle möglichst vermieden und Ressourcen im Umlauf gehalten werden. Das heißt, Produkte und Materialien werden nach ihrer Nutzung nicht einfach weggeworfen, sondern wieder in den Produktionskreislauf eingebunden. Eine klassische Win-Win-Situation: Die Lebensdauer bleibt erhalten und der Verbrauch von Ressourcen wird reduziert.

2. Positive Auswirkungen

Das Ziel ist es, mit dem eigenen Geschäft nicht nur weniger Schaden anzurichten, sondern tatsächlich etwas Gutes zu bewirken. Dazu gehört zum Beispiel, Ökosysteme wiederherzustellen, die Artenvielfalt zu fördern oder das Leben in Gemeinschaften zu verbessern.

3. Systemdenken

Regenerative Modelle setzen ein tiefes Verständnis dafür voraus, wie die verschiedenen Teile eines Systems miteinander verknüpft sind. Mit diesem ganzheitlichen Denken entstehen Lösungen, die das gesamte System stärken, statt sich nur auf einzelne Bereiche zu fokussieren. 2

4.Anpassungsfähigkeit

In einer Welt, die sich ständig wandelt, müssen Unternehmen flexibel und anpassungsfähig sein. Regenerative Geschäftsmodelle sind deshalb darauf ausgelegt, auf Veränderungen zu reagieren und aus Rückschlägen zu lernen, um sich stetig weiterzuentwickeln und zu wachsen.

Must-have: Warum wir regenerative Geschäftsmodelle brauchen

Regenerative Geschäftsmodelle sind weit mehr als ein Trend. Sie sind eine Notwendigkeit, um eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Warum? Der Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit. Regenerative Geschäftsmodelle gehen einen Schritt weiter als nur CO2-Emissionen zu reduzieren. Sie fördern aktiv die Bindung von Kohlenstoff, indem sie Wälder, Böden und andere natürliche Speicher schützen und wiederherstellen. Das sorgt nicht nur für einen kühleren Planeten, sondern auch für widerstandsfähigere Ökosysteme – und das kommt allen zukünftigen Generationen zugute.

Ohne Artenvielfalt keine funktionierenden Ökosysteme. Biodiversität ist die Basis für sauberes Wasser, frische Luft und fruchtbare Böden – kurz: unser Überleben. Regenerative Modelle setzen alles daran, diese Vielfalt zu bewahren und natürliche Lebensräume zu regenerieren. Denn nur in gesunden Ökosystemen kann wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand langfristig gesichert werden.

Die Welt wird immer ungleicher, und gerade die am stärksten benachteiligten Gemeinschaften leiden unter Umweltverschmutzung und Ressourcenknappheit. Regenerative Geschäftsmodelle wollen das ändern. Sie setzen auf faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen – für eine gerechtere Welt.

Nachhaltigkeit bedeutet auch, wirtschaftlich resilient zu sein. Unternehmen, die auf regenerative Ansätze setzen, denken langfristig. Sie schaffen nicht nur kurzfristigen Gewinn, sondern legen die Grundlage für kontinuierliches Wachstum und Stabilität. Mit Prinzipien wie Wiederverwendung, Anpassungsfähigkeit und Gemeinschaftsunterstützung sind sie fit für die Zukunft.

Theorie meets Praxis

Die Umsetzung eines regenerativen Geschäftsmodells verlangt, zwei wesentliche Perspektiven zu vereinen: die kurzfristigen Bedürfnisse der Konsument:innen und das langfristige Wohl der Gesellschaft. Wenn Menschenzentrierung noch nicht im Kern der Unternehmensphilosophie verankert ist: Don’t wait! Ein grundlegender Paradigmenwechsel in Unternehmensführung und -kultur ist oft unerlässlich. Es gilt, sich von kurzfristigen Geschäftsstrategien zu lösen und stattdessen einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der das langfristige Wohl der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt. Dieser Ansatz schafft Produkte und Dienstleistungen, die nicht nur den aktuellen Bedürfnissen der Konsument:innen gerecht werden, sondern auch positive Einflüsse auf die Gesellschaft haben.

Der Schritt weg von reiner Profitmaximierung hin zu einem Modell, das den nachhaltigen Wohlstand aller Beteiligten in den Vordergrund stellt, ist zweifellos herausfordernd. Doch dieser Wandel ist unerlässlich, um die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu sichern und gleichzeitig den Bedürfnissen der Menschen von heute und morgen gerecht zu werden. Nur durch diesen Ansatz lässt sich eine nachhaltige und gerechte Zukunft gestalten, die langfristig erfolgreich ist.

Doch was sind die wichtigsten Schritte und Ansätze, die dabei helfen, regenerative Praktiken erfolgreich umzusetzen?

Produkte und Dienstleistungen für eine regenerative Zukunft

Rethink! Um regenerative Prinzipien erfolgreich umzusetzen, ist es notwendig, Produkte und Dienstleistungen von Grund auf neu zu denken. Diese innovativen Ansätze helfen dabei, Nachhaltigkeit in die Praxis zu überführen:

  • Biomimikry (Bionik): Inspiration aus der Natur für nachhaltige Innovationen. Ein Beispiel ist die Lotuseffekt-Technologie, die selbstreinigende Oberflächen nach dem Vorbild von Lotusblättern gestaltet. Dieser Ansatz ermöglicht die Entwicklung effizienter und umweltfreundlicher Produkte, die die Natur als Lehrmeister nutzen. 3
  • Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C): Produkte, die am Ende ihrer Lebensdauer nicht zu Abfall werden, sondern vollständig in biologische oder technische Kreisläufe zurückgeführt werden. Mit diesem Prinzip entstehen Produkte, die entweder biologisch abbaubar oder endlos recycelbar sind, was zu einer erheblichen Reduktion der Umweltbelastung führt. 4
  • Design for Disassembly: Produkte so gestalten, dass sie einfach zerlegt, repariert und wiederverwendet werden können. Durch modulare Designs und einfache Upgrades wird nicht nur die Lebensdauer verlängert, sondern auch der Ressourcenbedarf gesenkt. Dies fördert eine nachhaltige Nutzung und minimiert den ökologischen Fußabdruck. 5
Integration von Kreislaufwirtschaft und Regeneration

Die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und Regeneration sollten durch alle Aspekte des Geschäftsmodells hindurch umgesetzt werden – von der Produktgestaltung bis zur gesamten Wertschöpfungskette.

  • Design für Langlebigkeit und Wiederverwendung: Produkte sollten so konzipiert werden, dass sie robust, reparierbar und modular sind. Hochwertige Materialien und durchdachte Reparaturservices verlängern die Lebensdauer der Produkte und reduzieren den Ressourcenverbrauch sowie den Abfall.
  • Rücknahme- und Recyclingprogramme: Durch geschlossene Kreislaufsysteme, wie Rücknahmeprogramme und Recycling von zurückgegebenen Waren, wird Abfall minimiert und Materialien können kontinuierlich wiederverwendet werden. Diese Ansätze stellen sicher, dass Ressourcen stets im Produktionsprozess bleiben und die Umweltbelastung gesenkt wird.
Förderung sozialer Gerechtigkeit durch innovative Geschäftspraktiken

Regenerative Geschäftsmodelle setzen einen klaren Fokus auf soziale Gerechtigkeit und arbeiten aktiv daran, soziale Ungleichheiten zu verringern und das Wohl aller Beteiligten zu verbessern:

  • Natural Capital Accounting: Dieser Ansatz integriert den ökologischen Wert von Ökosystemen in die finanziellen Bilanzen von Unternehmen. Durch die Transparenz über die Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen können fundierte, nachhaltige Entscheidungen getroffen werden. Das Einbeziehen von Umweltkosten in die wirtschaftliche Betrachtung hilft, ein Gleichgewicht zwischen ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Leistung zu schaffen.
  • Stakeholder Governance: Anstelle der reinen Fokussierung auf Aktionärsinteressen, stehen bei regenerativen Modellen alle relevanten Interessengruppen im Mittelpunkt. Mitarbeiter:innen, Kund:innen, lokale Gemeinschaften und weitere Akteur:innen werden in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Diese partizipative Herangehensweise führt zu einer gerechteren Verteilung der wirtschaftlichen und sozialen Vorteile und stärkt sowohl die soziale Gerechtigkeit als auch die Resilienz des gesamten Geschäftsmodells.

Von Ego zu Eco: Gemeinsam für eine nachhaltige Zukunft

Die drängendsten globalen Herausforderungen erfordern ein Bewusstsein dafür, dass Unternehmen Teil eines größeren Ökosystems sind und echte Veränderungen nur durch Zusammenarbeit erreicht werden können. Also: Weg von isolierten Ansätzen, hin zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Unternehmen, Gemeinschaften und Individuen, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Maja Göpel, eine führende Expertin für nachhaltige Entwicklung, plädiert für einen Wandel von einer egozentrischen hin zu einer ökozentrischen Wirtschaft. Sie spricht von einem Übergang von einem „Ego-System“ zu einem „Eco-System“, in dem das Wohl aller Menschen und des Planeten im Mittelpunkt steht.6 Dieser Paradigmenwechsel erfordert gemeinschaftliches Handeln, das die Bedürfnisse aller Beteiligten – einschließlich der Natur – berücksichtigt.

Um diesen Wandel zu vollziehen, ist ein tiefes Bewusstsein für die Wechselwirkungen innerhalb sozialer und ökologischer Systeme erforderlich. Kooperation über verschiedene Ebenen hinweg wird zunehmend wichtig. Es geht um gegenseitiges Lernen und Verantwortungsübernahme statt um das Abgeben von Verantwortung.

Elinor Ostroms Konzept der polyzentrischen Governance hebt hervor, wie wichtig es ist, auf allen Ebenen zusammenzuarbeiten.7 Der Fokus liegt darauf, die Stärken und Perspektiven aller Beteiligten zu nutzen, um Lösungen zu entwickeln, die sowohl lokal als auch global Wirkung zeigen. Beispiele wie individuelle Konsument:innenentscheidungen, kommunale Initiativen wie Urban Farming und unternehmerische Praktiken wie die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen, wie kollaboratives Handeln ökologische und soziale Herausforderungen angehen kann.

It’s your turn: Die Zukunft gehört den Regenerativen

Die Einführung und Umsetzung regenerativer Geschäftsmodelle bietet Unternehmen nicht nur wirtschaftlichen Erfolg, sondern trägt auch aktiv zur Bewältigung der wichtigsten globalen Herausforderungen bei. Die kommenden Jahre werden die Kosten sozial-ökologischer Krisen sowohl auf gesellschaftlicher Ebene als auch für einzelne Unternehmen erheblich steigen. Hinzu kommen die Kosten des Nicht-Handelns und die sich ändernde Regulierung. Deshalb ist es aus rein ökonomischer Sicht unverzichtbar, ernsthaft auf regenerative Wirtschaftspraktiken umzusteigen. Unternehmen, die jetzt den Weg in diese Richtung einschlagen, werden voraussichtlich die wirtschaftlich erfolgreichsten der Zukunft sein.

Dieser Weg verlangt Mut, Kreativität und ein tiefes Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Doch die Belohnung ist eine Zukunft, in der Unternehmen, Menschen und der Planet gemeinsam florieren können.

Durch das Übertreten der traditionellen Nachhaltigkeitsgrenzen und die Integration regenerativer Praktiken in die Geschäftsstrategien schaffen Unternehmen nicht nur Mehrwert für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaften und natürlichen Systeme, von denen sie abhängen. Die Transformation mag herausfordernd sein, doch sie ist entscheidend für eine nachhaltige und gerechte Zukunft.

Es ist an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen und aktiv zur Regeneration des Planeten sowie zur Förderung einer gerechteren Gesellschaft beizutragen. Regenerative Geschäftsmodelle sind der Schlüssel zu langfristigem wirtschaftlichem Erfolg und zu einer Welt, in der Wohlstand und Gerechtigkeit für alle möglich sind.

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